Arbeitsweise und Entwicklung

 

 

Der Wunsch, selbständig, kreativ in Gemeinschaft zu arbeiten, war der Anlass, das Töpferhandwerk auf autodidaktische Weise zu erlernen und die Schullaufbahn zu beenden.

 

Ein glücklicher Zufall spielte mir das Töpferbuch von Bernhard Leach in die Hände. Es galt fortan als Orientierung in meiner Arbeitsweise.

 

Meinen Ton grub ich also folgerichtig in den nächstgelegenen Tonvorkommen in Schermbeck, einem Töpferort nördlich des Ruhrgebiets. Schermbeck erlangte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine größte Blüte, entgegen der üblichen Entwicklung in Nordwestdeutschland, wo irdenes Geschirr bereits ersetzt wurde durch den Gebrauch von Steingut, Emaille- und Blechgeschirr sowie Porzellan.

 

Das schlichte, irdene Gebrauchsgut wurde von den in das Ruhrgebiet einwandernden Familien und Arbeitern, bestehend aus überwiegend polnischer Landbevölkerung, hoch geschätzt. So war die Existenz von Töpferdörfern - nördlich des Ruhrgebiets - bis ins beginnende 20. Jahrhundert gesichert: auch die von Schermbeck mit seinen damals noch 14 florierenden Töpfereien. Schermbecker Ton wird heute noch am Ort abgebaut und zu hochwertigen Dachziegeln verarbeitet. Eine renaturierte Seenlandschaft ist entstanden.

 

Mit diesem ockerfarbenen, ausreichend plastischen Ton machte ich also mein erstes Dreh-Training und nach einem Jahr meinen ersten Brand im neuen Elektroofen - vom während des Zivildienstes zusammengesparten Geld gekauft.

 

Die für die praktische Arbeit relevanten Kapitel des Töpferbuchs hatte ich also gelesen, es wirkte hochmotivierend, machte 'klick', der Entschluss war sicher: sobald sich die Gelegenheit bietet, muss ein Holzofen her.

 

Passagen wie diese aus dem Töpferbuch haben mich besonders beeindruckt: „Dabei ist es vielleicht von Interesse, dass man nicht nur seit jeher Holz in allen Töpfereien der Welt verwendete und damit wundervolle Glasuren hervorbrachte, sondern heute noch in Sèvres mit Holz gebrannt wird.

 

Das bedeutet, der Töpfer, der mit Holz brennt, darf sich in seiner Arbeit mit dieser räumlich-zeitlichen Dimension verbunden wissen: „schon immer und überall auf der Welt“ und zudem „wundervolle Glasuren“ hervorbringen zu können, klingt verheißungsvoll und fühlt sich gut an. Es ist diese archaisch anmutende, mit Naturelementen spielende Tätigkeit, vergleichbar mit Schafe hüten, mit Segeln, mit Arbeit im Garten (wer Ideen hat, kann diese Liste erweitern), welche Zufriedenheit und ein besonderes Glücksgefühl hervorrufen können. Kenntnis, Erfahrung und Wissen helfen Ergebnisse zu steuern, Unwägbarkeiten bleiben trotz allem. Man steckt tief, aber gleichzeitig auch „nicht wirklich drinnen“. Bis zum ersten vorzeigbaren Holzofen dauerte es aber.

 

Mittlerweile hatte sich eine Gruppe gleichgesinnter Freunde und Freundinnen gefunden und bald darauf ein Bauernhaus auf dem Land in Vaals NL, im Dreiländereck bei Aachen. Ein wunderschöner Platz für Töpferei und Gärtnerei!

 

Mit wenig Geld aber jede Menge Spaß und Enthusiasmus entstanden dort eine Töpferei und ein ansehnlicher Selbstversorger-Garten, ein bescheidene materielle Grundlage für ein schönes Leben.

 

Erste experimentelle Holzöfen, Studienreisen nach England und Frankreich, das Abo von Ceramics Monthley, gusseiserne Ventury Brenner aus den USA, Feuerleichtsteine, ein erstes Ölfass zum Faserofen umgebaut, Steinzeugmassen aus einer Klinkerfabrik in Alsdorf, der Kunsthandwerker Markt in Aachen waren Ereignisse, die uns beschäftigten und an denen wir uns handwerklich entwickelten.

 

Die Aachener Handwerkskammer wurde aufmerksam auf die „Töpferei Meelenbroek“ und lud uns alljährlich zur „Jahresausstellung der Kunsthandwerker“ der Kreishandwerkerschaft Aachen und mich - jedoch nur einmal - zur Gesellenprüfung.

 

Noch ein kleiner Exkurs:
Es wäre uns in Deutschland aufgrund des zu der damaligen Zeit noch existierenden Meisterzwangs nicht möglich gewesen, einen ordentlichen Handwerksbetrieb zu betreiben. In den Niederlanden hingegen reichte die einmalige Anmeldung der Töpferei Meelenbroek in der „Kamer van Koophandel“ aus. Der Sachbearbeiter wünschte uns nach der Anmeldung noch viel Spaß und verlieh damit die dem Anlass entsprechende feierliche Note. Noch nicht einmal einen Klumpen Ton mussten wir vorweisen, um zu bezeugen, dass wir tatsächlich im Besitz einer Töpferwerkstatt waren. Wir sind auch niemals von behördlicher Seite geprüft oder kontrolliert worden. Eine jährliche Steuererklärung war der einzige bürokratische Aufwand, den es zu leisten galt. Dem Vaalser Meldeamt reichte die Betriebsanmeldung gleichzeitig als Unterhaltsnachweis, den wir benötigten, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Wir erklären schriftlich, dass wir fortan unseren Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme Niederländischer Sozialleistungen bestreiten würden.

 

Exkurs im Exkurs:
Im grenznahen Gebiet galten schon vor der Gründung des Schengenraums praktischerweise besondere Bestimmungen. Wer als Deutscher einen Mietvertrag für eine Wohnung im grenznahen Raum der Niederlande hatte, bekam auch eine Aufenthaltsgenehmigung und damit die Berechtigung Sozialleistungen zu beziehen und… legal Marihuana anzubauen und zu genießen! Diese Sozialleistungen waren üppig, wurden liebevoll „Königliche Leibrente“ genannt und in bar ausgezahlt. Man kann sich gut vorstellen, dass Vaals ein wahres Eldorado für Student*innen und Hippies aus Aachen wurde, die dort unzählige Wohngemeinschaften bevölkerten. Zu jedem Monatsanfang war die Luft der Flure des Vaalser Amtes für Soziales rauchgesättigt von Marihuana und überfüllt mit in der Mehrzahl deutschen Bohemiens, bereit sich ihre Leibrente auszahlen zu lassen.

 

Aber zurück zur Keramik, aus dem oben Geschilderten geht hervor, dass wir unter diesen Bedingungen uns handwerklich freier und experimenteller entfalten konnten als es damals jemals in Deutschland möglich gewesen wäre. Unsere Droge war die Beschäftigung mit dem Handwerksfach.

 

Die Vaalsre Töpferei Meelenbroek löste sich nach vier Jahren auf. Aus der Gemeinschaft entstanden vier Familienbetriebe mit zusammen elf Kindern: in Möckmühl an der Jagst, in Stütensen (Niedersachsen), Töpferei Meelenbroek in Gemmenich, Belgien und in Essen an der Ruhr.

 

Es folgten 1982 der Ausbau einer Töpferwerkstatt in Essen an der Ruhr, der Bau eines Olsen Fast Fire und der Bau eines gasbeheizten Brennofens.

 

1986 die Meisterprüfung im Keramikerhandwerk.

 

Das Töpferhandwerk florierte sehr gut in den Achtziger Jahren. Eine Vielzahl von Studiotöpfereien etablierte sich und mit ihnen Töpfermärkte allerorten. Die großartigen Westerwälder Werkstätten jedoch - mit ihren einzigartigen, riesigen, holzbefeuerten Kannenöfen, in denen salzglasiertes Steinzeug hergestellt wurde und deren Ursprünge bis Mitte des 13. Jahrhunderts zurückreichen - mussten feststellen, dass ihre Waren immer weniger gefragt waren, verkleinerten sich und stellten nach und nach ihren Betrieb ein.

 

Öllämpchen, Glöckchen, Teelichthalter, Tassen und Schalen in Rutil blau verhalfen zu Umsatz, Kupferrot-, Seladon- und Asche-Glasuren auf Porzellan und Steinzeug waren für mich die Highlights zu der Zeit. So bewahrte ich die Freude, das Interesse und die Leidenschaft an diesem Handwerk.
Neben den Ausstellungen in der Aachener Handwerkskammer und der Teilnahme an zahlreichen Töpfermärkten, kann ich noch auf eine Ausstellung in der Galerie Jagsthausen verweisen. Eine Praktikantin hat die zu der Zeit hergestellte Ware treffend charakterisiert: Sie muss handgemacht sein, darf aber nicht danach aussehen. Beurteilungskriterium für gute Keramik war an vorderer Stelle die bestechend perfekte Ausführung.

 

Erwähnen möchte ich noch, dass ich zu der Zeit sehr in die Familienarbeit bei einer Vollzeit arbeitenden Ehefrau und drei Kindern eingebunden war. Zu tun gab es genug. Mein Alltag gestaltete sich durchaus sportlich, begann um 5 Uhr in der Früh und endete, wenn die Kinder schliefen.

 

Zehn Jahre und ca.120 Holzbrände später entschloss ich mich jedoch, aktiv das allein-Arbeiten in meiner Werkstatt zu beenden, besuchte das Studienseminar für das Lehramt für Sonderpädagogik und arbeitete bis 2015 als Fachlehrer an Sonderschulen, Schule für geistige Entwicklung, mit dem Schwerpunkt Schülerfirma, Arbeitslehre Keramikwerkstatt. Des Weiteren fand und findet meine künstlerische Ader - wenn ich so sagen darf - ihren Ausdruck in einer Gesangausbildung und der Mitgliedschaft im Extrachor am Aalto Musik Theater in Essen und der Beteiligung an zahlreichen Opernproduktionen.

 

Jetzt im Alter schließt sich für mich der Kreis. Ich bin an die Töpferscheibe zurückgekehrt. Dies stellt sich als ein Sprung in die Zukunft dar.

 

Anagama Öfen allerorten, eine weltweit vernetzte Holzbrandszene, Holzbrandkonferenzen zuletzt in La Borne, jetsettende Stars in der Szene wie Fred Olsen, Steve Harrison und neuerdings Markus Böhm führen ihre Ofenbau-Seminare weltweit durch. Es existiert eine große Leidenschaft für asiatische, insbesondere japanische Keramik und wunderschöne Keramiken auf allerhöchstem Niveau sind in verschiedensten Werkstätten weltweit und auch in Deutschland zu finden. Studienreisen nach Japan und zeitweilige Mitarbeit oder sogar Ausbildung bei einem namhaften japanischen Töpfer adeln jetzt auch den europäischen Töpfer.

 

Der Geschmack des keramikinteressierten Publikums hat sich mit verändert. Holzbrand Keramik ist bekannter und gegenwärtiger geworden. Lebendige zeitlose Keramik ist gefragt, die Ästhetik von Wabi und Sabi - zwei in Japan definierte Prinzipien, welche die Schönheit der Natur preisen - wird im höchsten Maße wertgeschätzt und findet auch auf Keramikgefäßen ihren Ausdruck.

 

In den letzten 25 Jahren diente mir die Arbeit mit Ton, Vermittlung von Arbeitstechniken und die Herstellung von Keramik, zu allererst der Erfüllung pädagogischer und therapeutischer Aufgaben und Ziele.

 

Nun gilt es, mich unter den heutigen Bedingungen als Keramik-Handwerker und -Künstler neu zu verorten.